Im Februar 2010 habe ich mich entschlossen, nach meinem Abitur ein Jahr lang einen Weltwärtsdienst in Tansania abzuleisten. Unterstützt von der Deutsch-Tansanischen-Partnerschaft werde ich dabei ein Jahr lang in Kyela, Südwest-Tansania verbringen und in der Entwicklungszusammenarbeit im Bereich Mikrokredite mit dem Schwerpunkt auf Erneuerbare Energien arbeiten.
Viel Spaß beim lesen meiner Einträge!

Freitag, 4. Februar 2011

Profitgier

Im folgenden Artikel lasse ich meinem Ärger ein wenig Luft, deshalb ist er nicht so objektiv und neutral geschrieben, wie es vielleicht sein sollte...

Mehr Profit, mehr Effizienz, mehr „Null Toleranz“, mehr Härte, mehr Organisation,...

So ein Titel hört sich irgendwie nicht wirklich tansanisch an, oder? Da denkt man doch erstmal an: Kein Stress, lass dir Zeit, wir sind doch alle Brüder und Schwestern, wird schon irgendwie klappen,...
Klar, das sind jetzt beide Seiten ziemlich übertriebene Vorurteile. Aber in etwas abgewandelter Form treffen diese zwei komplett unterschiedlichen Sichtweisen im Moment gerade bei uns im Büro aufeinander.

Das liegt daran, dass unser „Managing Director“, also unser Oberchef aus Dar es Salaam angereist ist. Sein Anliegen: Die TMF Abteilung in Kyela wieder auf Vordermann bringen. Wie soll das gehen? Mehr Kredite vergeben, Schulden rigoroser eintreiben, effizienter arbeiten, mehr Profit machen.

Denn meine Bank Tujijenge Microfinance ist nicht etwa eine NGO (Nicht-Regierungs-Organisation) die Spendengelder bekommt und diese Gelder dann weiter an die Kunden gibt, nein, TMF ist eine ganz gewöhnliche Bank, die ihr Kapital von ausländischen Geldgebern bekommt, die dann natürlich dafür auch eine ordentliche Rendite sehen wollen.
Eigentlich ist das mit den Renditen auch kein Problem: Mikrokredite haben den Ruf, zu 97% zurückgezahlt zu werden, außerdem werden prozentual gesehen saftige Zinsen fällig. Bei unserer Bank nehmen wir 3 % - wohlgemerkt im Monat! Zinseszinsen gibt es keine, doch bei einer Laufzeit von 8 Monaten nimmt TMF also 24 % des ausgegeben Betrags ein – zuzüglich 4 % Bearbeitungskosten. Hört sich natürlich erstmal nach Wucher an.
Man muss natürlich aber auch viele Aspekte bedenken: Da es sich um kleine Kredite handelt, fällt auch absolut gesehen wenig Zinsertrag an, trotzdem müssen die Mitarbeiter das teure Sprit für ihre monatlichen oder 2wöchigen Besuche der Gruppen bezahlen. Die Mitarbeiter fahren auf die Dörfer, nicht umgekehrt. Außerdem sind solch kleine Kredite recht aufwendig zu vergeben, jede einzelne Rückzahlung von manchmal nur wenigen Euros muss in das System eingetragen werden, vor der Vergabe eines Kredites werden bis zu 4 Trainingseinheiten abgehalten, z.B. wie man das geliehene Geld am Besten verwendet.

Was man jedoch dazu sagen muss: Die Idee der Mikrokredite, entworfen vom Wirtschaftswissenschaftler und Friedensnobelpreisträger Mohammad Yunus, ging nicht davon aus, das Unternehmen mit diesem Kreditprinzip besonders viel Geld machen können, es hatte zum Ziel, den Armen zu helfen in dem ihnen Finanzdienstleistungen zur Verfügung gestellt wurden in einem Rahmen, den ihnen keine andere Bank bieten kann. Schön wenn sich das Prinzip selbst trägt, doch die Verbesserung der Lebensumstände sollte im Mittelpunkt stehen.

Problem war nun aber, dass das Prinzip der Mikrokredite so immens erfolgreich war, das größere Banken darauf aufmerksam wurde: Da ist ein Prinzip, damit lässt sich viel Geld machen, und nebenbei können wir auch noch sagen, wir helfen den Armen, wie schön.
Doch genau diese Änderung der Sichtweise – nicht mehr die Lebensumstände primär verbessern sondern primär viel Einkommen generieren – zerstört das Prinzip der Mikrofinanzierung.

Zurück zu unserer Bank: Nachdem unter der Leitung unseres alten Abteilungschefs Mr. Mkanya die Rückzahlungsquote auf 68% gesunken war, setze unser Managing Director einen neuen Chef ein uns hielt mit uns und allen Mitarbeitern ein Seminar ab zum Thema: Wie bringen wir die Abteilung Kyela wieder auf Vordermann.

Und seine Vorschläge klangen leider nicht sehr nach: Wir wollen die Lebensumstände der Menschen hier verbessern, sondern eher nach: Unsere Bank will expandieren, deshalb müssen wir mehr Einkommen generieren.

Die im Moment ausstehenden Kredite sollen nach dem „Null Toleranz“ Prinzip „eingetrieben“ werden, keine Ausreden werden mehr akzeptiert. Gleichzeitig sollen aber möglichst schnell neue Kredite ausgegeben werden, möglichst viele, um möglichst viel Einkommen zu erhalten.
Dazu sollen Kosten eingespart werden, ein Loan Officer soll bis zu 4 Kredit Gruppen an einem Tag besuchen, um so mehr Kapazitäten für weitere Gruppen zu haben sowie weniger Geld für Sprit pro Kunde auszugeben.
Die Treffen mit den Kredit Gruppen sollen nach einem festen Schema verlaufen, die Treffen werden durchgeplant und für Ausnahmen bleibt kein Platz.
Fehlvergehen von Kunden werden mit einem Strafenkatalog geahndet, es gibt festgesetzte Strafen für: Zu spät zum Treffen erscheinen, gar nicht erscheinen ohne sich vorher schriftlich abzumelden, zu Fluchen oder jemanden zu beleidigen, nicht pünktlich zurückzahlen zu können und so weiter.
Auch andere, gute Dinge wurden angesprochen: Mehr Training, bevor Kredite aufgenommen werden, eine strukturiertes Bewertungssystem der Kunden, damit neue Kredite nicht an „schlechte“ Kunden ausgegeben werden, eine neue Ausstattung des Büros, „Mehr Quantität nur mit Qualität“.
Doch wenn man alles auf einmal will (Innerhalb der nächsten 2 Monate soll die Rückzahlungsrate wieder auf über 90% gebracht werden) Bleibt die Qualität nunmal meist zurück.

Und was soll am Ende dabei herausspringen? Eine neue Abteilung in Tukuyu. Expansion, noch mehr Geld... aber wird dadurch auch noch mehr Menschen geholfen?

Was klar ist: So wie die Situation vorher war, so kann es nicht weitergehen. Denn den Menschen wird nicht geholfen, wenn man ihnen das Geld einfach schenkt und auf die Rückzahlung verzichtet. Doch muss es dann gleich so ein radikal kapitalistischer Weg sein, wie in Mr. Jimmy, unser Managing Director uns vorschreibt?

Dieser Druck, mehr Kredite auszugeben und die ausstehenden Rückzahlungen rigoroser einzutreiben war ja auch schon vorher da. Der Druck kam aus Dar es Salaam zu unserem ehemaligen Chef Mr. Mkanya. Doch der hat ihn einfach ausgehalten und nicht weiter an die Mitarbeiter gegeben. Er hat den Kopf hingehalten und deswegen wurde er wohl auch entlassen. Doch was passiert, wenn unser neuer Chef den Druck einfach weiter an die Mitarbeiter gibt? Die werden den nicht lange aushalten wollen, sondern ihn weiter an die Kunden geben. Doch denen will man doch gerade helfen.

Eine verzwickte Situation, meiner Meinung nach ist sogenannte Entwicklungshilfe nur dann nachhaltig, wenn sie sich selbst halten kann und keine ständigen finanzielle Zuschüsse benötigt. Und natürlich kann man mit mehr Mikrokrediten mehr Menschen helfen. Denn von der Sinnhaftigkeit des Prinzips Mikrokredit bin ich überzeugt. Doch zu welchem Preis?
Einen Mittelweg zwischen knallhartem Profitstreben und legerem, ungeordneten, freundlichen aber ziemlich ineffizienten arbeiten muss gefunden werden, sonst schadet man den Kunden mehr, als dass man ihnen hilft.
Mit der Vergabe von Mikrokrediten kann man selbst nicht reich werden, aber man kann viele Menschen weniger arm machen.

Auch wenn ich hier kein Schreckensszenario beschreiben will, so soll am Ende dieses Posts doch noch eine Geschichte aus Indien stehen:
Während in Indien mehrere große Mikrokreditbanken an der Börse riesige Erfolge feierten, kommt es innerhalb der Kreditgruppen zu immer mehr Selbstmorden von Kunden, die den Druck von den Mitarbeitern und anderen Gruppenmitgliedern, die ja die Schulden von allen Gruppenmitgliedern im Ernstfall mitbezahlen, nicht gewachsen waren.
Denn erst wenn eine amtliche Sterbeurkunde vorliegt, wird der Gruppe der Kredit erlassen...

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